13.01.2015

Die Nieskyer Außenministerin

Die Diakonisse Waldtraut Neub prägte Emmaus seit den 1950er Jahren. Heute werden sie viele auf ihrem letzten Weg zum Gottesacker begleiten.

Von Carla Mattern

Mit über 80 Jahren saßen Waltraud Neub und ihr älterer Bruder Hartmut noch im Fernflieger. Zu zweit reisten die Geschwister in den kleinen südamerikanischen Staat Suriname. In der Hauptstadt Paramaribo stand ihre Wiege, verbrachten sie die ersten Kindheitsjahre. Die Eltern und Großeltern arbeiteten dort für die Herrnhuter Mission. Es war eine der letzten großen Reisen der Diakonisse Waldtraud Neub. Heute wird Schwester Waldtraud, wie sie nicht nur ihre Vertrauten aus der Diakonissenanstalt Emmaus und der Brüdergemeine nennen, begraben. Sie ist 94 Jahre alt geworden. Ihr letzter Weg führt sie von der Brüderkirche am Nieskyer Zinzendorfplatz zum Gottesacker.

Mit ihrem herzlichen Lachen steckte Waldtraut Neub viele an. Nieskyer kennen die Diakonisse auch als Mitstreiterin im Neuen Forum und der Bürgerbewegung Niesky. Sie war 1953 Mitbegründerin des Tages der Diakonie, den es als Freundestag noch immer gibt. Fo

Viele Diakonissen werden in dem Trauerzug allerdings nicht mehr dabei sein. Ohne Schwester Waldtraud gibt es noch 12 Frauen, die in dieser verbindlichen Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft, auch Schwesterngemeinschaft genannt, im Nieskyer Mutterhaus leben. Vor fünf Jahren waren sie noch 19. Sonja Rönsch, die Oberin der Diakonissenanstalt Emmaus, ist seit 1982 eine von ihnen. Sie war Waldtraud Neub auf ganz besondere Weise verbunden. „Schwester Waldtraut hat das Leben geliebt und als Geschenk verstanden. Klug, unerschrocken und weltoffen begegnete sie den Menschen. Ihr umfassendes Wissen und ihr Frömmigkeit eröffneten ihr unendlich viele Möglichkeiten, sich zum Wohl der Diakonissenanstalt Emmaus, der Stadt Niesky sowie der weltweiten Herrnhuter Brüdergemeine einzusetzen“, sagt Sonja Rönsch.

Auch außerhalb von Emmaus ist Waltraut Neub keine Unbekannte. Der Nieskyer Gemüsehändler Joachim Liebig nennt Schwester Waldtraud eine sehr besonnene, intelligente und geradlinige Frau. Beide lernten sich in der Wendezeit im neuen Forum und bei der Bürgerbewegung Niesky kennen. „Sehr nachdrücklich erinnere ich mich, dass sie eine Frau mit einer riesigen Lebenserfahrung war, und diese auch einbrachte. „Was sie wollte, das hat sie versucht, durchzusetzen. Sie war dabei konsequent, hat Klartext geredet“, so Joachim Liebig. Ihr sei es dabei besonders um die Existenz und Zukunft der Diakonissenanstalt Emmaus gegangen.

Eigentlich hatte Waltraut Neub Kunsterziehung und Handarbeitslehre in Dresden studiert. Mit dem Kriegsende kam sie erst nach Herrnhut, dann nach Niesky. 1952 erfolgte ihre Einsegnung als Diakonisse. Fast 40 Jahre bildete sie junge Frauen zu Krankenschwestern aus. Dafür und für weitere Bildungsgänge im Sozialbereich konzipierte sie Lehrpläne, die immer auch Unterrichtseinheiten für den Bereich Bibelkunde, Kunstgeschichte, Botanik, Kalligraphie und Musik beinhalteten, das berichtet Schwester Sonja. Es sei Schwester Waldtrauts Anspruch gewesen, die jungen Schwestern optimal auf ihren Beruf in der Kranken- und Altenpflege vorzubereiten. Das gemeinsame Feiern und Ausgestalten von Faschings-, Oster,- und Weihnachtsfesten gehörte mit dazu. Hierzu hat sie Theaterstücke mit den Krankenpflegeschülerinnen eingeübt und in Emmaus oder in Kirchengemeinden aufgeführt. Hierbei war sich Schwester Waldtraut auch nicht für einen Spaß zu schade, der auf ihr Kosten ging. Beispielsweise mit kreativen Kostümen und Hüten wusste sie ihre Zuhörerschaft zu überraschen. Gern kleidete sich Schwester Waldtraut in surinamische Volkstrachten mit ihren ausladenden Kopfbedeckungen und farbenfrohen Gewändern. Damit war ihr die Aufmerksamkeit ihres Publikums sicher. Endlos begeistert waren sie dann, wenn Schwester Waldtraut anfing surinamisch, holländisch oder in sonst einer fremden Sprachen zu sprechen, sagt die Oberin.

Diese Geselligkeit lebte Waldtraut Neub auch in der Familie aus. Ihren Bruder überraschte sie zum 85. Geburtstag mit einem selbst erdachten Gedicht, berichtet Neffe Martin Neub aus dem baden-württembergischen Denzlingen. „Es war immer ein Ereignis und für uns Kinder ungewohnt, wenn die Tante aus Niesky in Tracht zu Besuch kam“, sagt er. Ihre Liebe für die Natur, fürs Zeichnen und Fotografieren hat sie an den Biologen weitergegeben. Mit seinem Vater war der auch einige Male in Niesky zu Gast, logierte in der mittlerweile runderneuerten Emmaus-Baude.

Waltraut Neub hinterlässt nicht nur ihren Verwandten viele Erinnerungen und Kunstwerke. Denn auch wenn sie sich erholte, war sie kreativ oder sportlich unterwegs etwa beim Malen, Planen der nächsten Reise oder Pflegen ihre Rosenrabatte. „Spätestens ab Mai radelte sie vor ihrem Dienst zur Kiesgrube, um ein paar Runden zu schwimmen. So hielt sie sich bis ins hohe Alter fit. Ihre Wohnung glich einem Museum mit vielen Erinnerungsstücken von ihren Reisen nach Indien, Suriname, Israel, Philippinen und so weiter. Alles durfte man in die Hand nehmen und Fragen stellen“, erzählt die Oberin. Mehrere thematische Fotoserien stellte Waltraut Neub zusammen, war damit in Deutschland und über Ländergrenzen hinweg als Botschafterin der Herrnhuter Brüdergemeine unterwegs. Nicht nur während ihres aktiven Arbeitslebens mischte Schwester Waldtraut innerhalb von Emmaus in allen entscheidenden Gremien und gestaltete so die Entwicklung von Emmaus aktiv mit. Sie lud beispielsweise 1953 zum ersten Tag der Diakonie ein, heute bekannt als Freundestag und jedes Jahr ein Ereignis in Niesky. „Für mich war sie so etwas wie eine Außenministerin für Emmaus“, so Schwester Sonja.