07.03.2021
Nieskyer Glockenspiel verstummt
Der Glockenstuhl der Kirche der Brüdergemeine trägt nicht mehr die Last des Geläutes. Er muss komplett erneuert werden. Wer kann das bezahlen?
Von Steffen Gerhardt
Nieskys höchstes Wahrzeichen ist verstummt, die Kirche der Brüdergemeine am Zinzendorfplatz. Seit zwei Monaten ist von dort kein Glockengeläut mehr zu hören, nur das Schlagen der Turmuhr, viermal in der Stunde. Das Glockengestühl sorgt für das Schweigen der Glocken. Ein Umstand, der sehr überraschend für die Nieskyer Brüdergemeine gekommen ist.
Pfarrerin Christiane Pietsch erzählt: "Nach der letzten Glockenwartung teilte die Wartungsfirma uns mit, dass die gesamte Glockenanlage sich in einem stark sanierungsbedürftigen Zustand befindet. Geltende Sicherheitsstandards werden nicht mehr erfüllt. Daher wird dringend empfohlen, einen Glockensachverständigen zu Rate zu ziehen.“ Gesagt, getan. Ein Sachverständiger hat sich die Anlage angesehen und die Beobachtungen der Wartungsfirma bestätigt. Das Protokoll liegt der Brüdergemeine vor.
Das hölzerne Tragwerk ist ebenso instabil
Beim Läuten schwingt der aus Stahl gefertigte Glockenstuhl besorgniserregend. Es besteht akute Gefahr von Ermüdungsbrüchen. Niet- und Schraubverbindungen, die den Glockenstuhl im Turm fixieren, sind teilweise abgeschert. Das Abreißen von weiteren Verbindungselementen ist zu erwarten. Die Aufzählung endet mit dem Fazit: Der Glockenstuhl muss ersetzt werden. Doch das ist nur der halbe Schrecken, der den Kirchenverantwortlichen in die Glieder fuhr. Ein Statiker untersuchte daraufhin das hölzerne Tragwerk, das den Glockenstuhl hält.
"Diese Bauzustandsuntersuchung brachte uns weitere erschreckende Fakten", berichtet die Pfarrerin. Sämtliche wandanliegenden Holzbauteile sind durch Innen- und Nassfäule mehr oder weniger stark geschädigt. Die Auflagebalken sind dadurch bis zu drei Viertel ihres Durchschnittes geschwächt. "Somit sind diese Balken als Auflageriegel für den Glockenstuhl nicht mehr tauglich. Der Statiker forderte, das Geläut sofort abzustellen. Seit dem 8. Januar schweigen die Glocken", ergänzt Frau Pietsch.
Großreinemachen im Kirchturm
Bereits kurz nach Stillegung des Geläutes wurde die Glockenstube von der Kirchengemeinde gereinigt. "Mehrere Schubkarren mit Nestbaumaterial von Tauben, Schmutz, Vogelkot, Tierkadavern, Zweigen, zersetzten Holzteilen und Bauschmutz sind angefallen und wurden entsorgt", zählt die Pfarrerin auf. Nach dem Großreinemachen sind die Schäden an dem Glockenstuhl und seinem Tragwerk besonders deutlich zu sehen, aber auch die Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkrieges. Vorsteher Christoph Leubner erzählt: Wir sehen heute noch Einschüsse im Turmmauerwerk, aber auch in den Stahlträgern. Eine Kugel aus einem Geschoss haben wir beim Saubermachen noch im Turm gefunden. In Zeiten des Krieges hatten sich oft Schützen und Feindbeobachter in den Kirchtürmen verschanzt. Deshalb gerieten sie oft unter Beschuss des Gegners. So auch in Niesky.
Für Christoph Leubner hat nun das große Rechnen begonnen. Er ist auch für die Finanzen der Kirchengemeinde zu ständig. "Ein umfangreiches Projekt der grundhaften Sanierung des Geläutes liegt vor der Brüdergemeine", sagt Leubner. Ob die erforderliche Sanierung noch dieses Jahr erfolgen kann, hält Leubner für eher unwahrscheinlich. Aufwendungen von 80.000 bis 100.000 Euro sind zu erwarten. "Allein kann die Brüdergemeine Niesky diese Aufgabe nicht bewältigen. Wir sind auf Unterstützung angewiesen", betont Christoph Leubner.
Eine Glocke zu Ostern läuten
Das geht nur in kleinen Schritten, ergänzt die Pfarrerin. "Als nächstes soll untersucht werden, mit welchen Sicherungsmaßnahmen wir vorübergehend wieder läuten könnten. Wenigstens mit einer Glocke." Der Wunsch im Pfarramt ist, dass wenigstens zu Ostern die Gottesdienste eingeläutet werden können.
Schaut man in die Geschichte der Kirche, so steht der Glockenstuhl seit dem Bau der Kirche in den Jahren 1874 und 1875 unverändert unter dem Turmdach. An ihm hingen zur Einweihung 1875 zwei Bronzeglocken. Diese wurden aber für Kriegszwecke im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen. Nach Recherchen des Arbeitskreises Geschichte Niesky wurden 1920 drei neue Stahlglocken, gegossen in einer Bochumer Gußstahlfabrik, an den Stahlträgern befestigt. Die Glocken mussten zweimal aufgehangen werden, weil beim ersten Probeläuten Disharmonien festgestellt wurden. Mit dem Neuguss der Glocken wurde dem abgeholfen. Seit einhundert Jahren werden an dem Stahlgerüst mit jedem Läuten 3,1 Tonnen Gussstahl bewegt. Klar, dass irgendwann Ermüdungserscheinungen auftreten. Dass diese Erkenntnis aber mit einem Totalschaden einhergeht, das hatte in der Brüdergemeine wohl keiner erwartet.
Spendenkonto: Evangelische Brüdergemeine Niesky, KD – Bank eG,
IBAN: DE64 3506 0190 1559 9510 10, Zweck: „Glocken Kirche der Brüdergemeine“